Das Lesepult von Freudenstadt

Unsere Reise Anfang September führte auch in die große protestantische Kirche von Freudenstadt. Sie beinhaltet einige wertvolle liturgische Gegenstände, darunter ein unter Glas stehendes Pult. Was ist denn an ihm so interessant?

Ein kurzer Blick auf die Geschichte. Dieses gegen 1150 aus einem einzigen Stück Holz, einem Weidenstamm, geschnitzte 1,20 m. hohe Pult ist ein Meisterwerk mittelalterlicher Kunst. Allein Deckel und Evangelistensymbole sind hier später hinzugefügt worden. Es stammt sehr wahrscheinlich aus dem Hirsauer Kloster. Ein Brief Herzog Friedrichs, der in Calw bei Hirsau verfasst worden ist, lässt diese Vermutung zu, denn er erwähnt einen Fund für seine neue Kirche: ein Pult. Dieses wurde dann lange Zeit als einfaches Gesangspult genutzt. Sein wahrer Wert wurde erst im Laufe von Restaurierungsarbeiten festgestellt, die nach einem 1945 durch Bomben versursachten Brand vorgenommen worden wurden. Die zerstörten Teile sind zwar nicht ersetzt worden, aber bei diesen Arbeiten sind die sehr leuchtenden Originalfarben zum Vorschein gekommen. Das Pult wird heute noch für Lesungen während der Gottesdienste benutzt.

Seine ästhetische Ausstrahlung. Es ist ein wahres Spiel mit den Farben, wobei Rot, Gold und Blau vorherrschen. Letzteres sogar auf Bart und Haar des Heiligen Markus! Und überhaupt die Haare: man hat sie mit großer Sorgfalt und sehr einfallsreich behandelt, mal lang mit Mittelscheitel und fest nach hinten gebunden, dann wieder mit vielen schönen Locken.  Die Kleider wiederum wirken durch ihre kunstvoll drapierten Stoffbahnen. Mit den Händen tragen die vier Evangelisten einen dicken ringförmigen Wulst unter einem viereckigen, sich nach oben erweiternden Pult, dessen vier Seiten das eingeschnitzte Symbol des jeweiligen Evangelisten schmückt.

Die religiöse Botschaft. Was sollen hier diese Symbole? Die erste Definition wurde uns von Irenäus von Lyon geliefert, der auf diese Weise Ezechiels Erscheinung (I, v.10) interpretiert und sich aber gleichzeitig auf die Apokalypse (IV, v.6-8) berufen hatte. Diese Symbole stehen in direkter Verbindung mit dem Beginn der jeweiligen Evangelien: Das Matheus zugeordnete Symbol ist „der Mensch“, weil sein Evangelium mit der Jesus-Genealogie beginnt. Das von Markus beginnt mit der Stimme eines Rufenden in der Wüste und so ist der Löwe zu dessen Symbol geworden. Lukas beginnt seinen Text mit der Opfergabe von Zacharias, weshalb der Stier als sein Symbol gilt. Schließlich wird Johannes als Verkünder von Gottes Wort mit seinem geistigen Höhenflug mit dem Adler verglichen.

Die tolle Erfindung. Nicht zu übersehen ist folgendes: dieses Pult mit Deckel ist breit genug, um ein Rauchfass zu beherbergen. Vier unsichtbare Leitungen führen jeweils zu einem Loch im Mund der vier Evangelisten, so dass während der Lesung des Evangeliums Weihrauch entweichen konnte. Der stark riechende Rauch stand für die Verbindung der Gläubigen mit dem Himmel, wo bekanntlich die Engelschar Gott loben und beweihrauchen soll.Die symbolische Bedeutung. Von jeher drückt die Zahl „vier“ die Idee der Ganzheit aus. So die vier Himmelsrichtungen, die vier Elemente, die vier Jahreszeiten. Und die vier Evangelisten wenden sich in die vier Himmelsrichtungen, um gemäß der Anweisung Christi „Gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern!“ (Mat. XXVIII, v. 19) der gesamten Welt die Frohe Botschaft zu verkünden. Ein Hinweis darauf, dass katholisch „universell“ bedeutet und das Christentum die gesamte Welt erreichen soll.

Francis Klakocer
Übersetzung: Barbara Bullwinkel

Abb. : Roland Moeglin

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