Ludwig XIV. am Straßburger Münster angeschossen

class=wp-image-2070
Abb. 1. Das Reiterdenkmal Ludwigs XIV. von Jean Vallastre (1823), Detail, ohne Datum.

Am 14. Mai 1946 ist die Frauenwerkstiftung Opfer eines „Sabotageaktes“ geworden. Er ereignete sich bei der Wiederaufrichtung des Reiterdenkmals Ludwigs XIV. am Straßburger Münster (Abb.1). Diese Skulptur stammt nicht aus dem Mittelalter, sondern wurde 1823 – also während der Restauration – von Jean Vallastre gehauen im Rahmen einer großen Instandsetzungs-kampagne der durch den revolutionären Vandalismus zerstörten oder beschädigten Statuen. Sie gehört in den bis dahin leergebliebenen Baldachin am rechten Strebepfeiler der Westfassade auf der ersten Ebene. Sie ergänzt die auf der linken Seite bereits aufgestellten Statuen von Chlodwig, Dagobert und Rudolph von Habsburg. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kamen weitere Reiterstatuen von Königen und Kaisern des Mittelalters auf der ersten oder zweiten Ebene der Westfassade hinzu.

Als Symbol für die Annexion Straßburgs in das französische Königreich 1681 und die Wiederherstellung des katholischen Kultes im Straßburger Münster ist die Statue Ludwigs XIV. ein Dorn im Auge der Besatzungsmacht nach der Annexion von Elsass-Lothringen im Dritten Reich in 1940. Der Besatzer ist besonders darauf erpicht, jegliche Erinnerung an die französische Herrschaft in der Stadt auszulöschen. So werden etwa das Denkmal des General Kleber von seinem Sockel entfernt und die Überreste des Helden der Revolutionskriege im Militärfriedhof in Cronenbourg beigesetzt. Der Kleberplatz wird zu Ehren des am 7. Februar 1940 von den Franzosen wegen Hochverrats erschossenen Autonomisten Karl Roos umbenannt und dient fortan als Kulisse für Großveranstaltungen der Nazi-Partei. Das Straßburger Münster, um das sich Frankreich und Deutschland ohnehin schon lange ob seines künstlerischen und symbolischen Werts streiten, wird ebenfalls instrumentalisiert, das französische Erbe wird aberkannt. Hitler und sein Generalstab sind am 28. Juni 1940 zu Besuch, am ersten Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. Nach diesem Besuch verkündet die deutsche Presse, dass „keine Kirche in Europa schöner, keine Kathedrale des Reiches deutscher sei!“ Das Münster steht im Zentrum der nazi-Propaganda. Am 17. Februar 1941 erteilt Gauleiter Robert Wagner (1895-1946), Reichsstatthalter und Chef der Zivilverwaltung von Baden-Elsass, dem neulich ernannten Architekten der Frauenwerkstiftung Anselme Schimpf (1907-1988) den Befehl, das Denkmal Ludwigs XIV. vom Münster zu entfernen. Die Reiterstatue wird Anfang Mai abgetragen und im Depot der Stiftung in Neudorf untergebracht, wo sie über die gesamte Zeit der Besetzung bleibt.

class=wp-image-2071
Abb. 2. Reiterstatue von Ludwig XIV. vor ihrer Restaurierung durch die Frauenwerkstiftung, ohne Datum.

Am 23. November 1944 wird Straßburg von der Nazi-Herrschaft befreit. Der Schwur von Koufra wird eingelöst, die Trikolore wird von den Soldaten der 2. Freien Französischen Panzerdivision unter General Leclerc auf der Münsterspitze gehisst. Schon am 22. Januar 1945, obwohl der Krieg noch nicht zu Ende ist und erbitterte Kämpfe im Nordelsass und um Colmar weiter wüten, erkundigt sich der Oberbürgermeister von Straßburg, Charles Frey (1888-1955), nach dem Verbleib der Statue. Nachdem ihm bestätigt wurde, dass sie noch existiert, verlangt er umgehend, dass sie an ihren angestammten Platz am Münster wieder angebracht wird. Noch muss sich der Stadtvater trotz mehrfachem Drängeln gedulden. Die Skulptur wurde durch die Witterung stark beschädigt und muss zuerst von der Frauenwerkstiftung restauriert werden (Abb. 2). Allerdings herrscht immer noch akuter Personalmangel in der Stiftung, deren Mitarbeiter vorerst mit der Überwachung der Kriegsgefangenen ausgelastet sind, die das Monument von allen Schutzvorrichtungen befreien sollen. Zudem muss sich Schimpf die geeignete Restaurierungsmethode von der Denkmalschutzbehörde genehmigen lassen, bevor die Arbeiten überhaupt beginnen können. Danach gilt es, genügend Bauholz für das Gerüst zu besorgen, und nicht zuletzt auf die mildere Witterung des Frühjahres 1946 zu warten, um das Gerüst und die benötigten Hebegeräte vor der Westfassade aufbauen zu können.   

Im Mai 1946 ist es dann soweit, die Reiterstatue Ludwigs XIV. soll wieder an ihren Platz zurückkehren. Schimpf weist den Oberbürgermeister auf die Inschrift auf dem Sockel des Denkmals hin: „Errichtet am 25. August 1823, unter den Herren Marquis de Vaulchier, Präfekt, und Kentzinger, Bürgermeister“. Er schlägt vor, diese mit den Worten zu ergänzen: „Entfernt im Mai 1941 auf Befehl der Besatzungsmacht. Wiedererrichtet am … Mai 1946, unter dem Präfekt Hrn. Cornut-Gentville und dem Bürgermeister Hrn. Ch. Frey.“ Obwohl die Wiedererrichtung wenige Tage nach dem ersten Jahrestag des Sieges – der am Sonntag, 12. Mai im Münster gefeiert wird – geplant ist, wollte die Stadt eigentlich keine besondere Veranstaltung zu diesem Anlass organisieren. Was dann passiert, wird von Anselme Schimpf selbst in seinem Bericht vom 14. Mai festgehalten:

class=wp-image-2074
Abb. 3. Mitarbeiter der Frauenwerkstiftung am Werk auf dem Münsterplatz beim ersten Versuch, die Skulptur von Ludwig XIV. hochzuheben, 14. Mai 1946.

„Heute Morgen begannen wir mit den Vorbereitungen zum Hochheben eines der drei Teile, die zusammengesetzt die Reiterstatue Ludwigs XIV. bilden (Abb. 3). Allerdings ist beim Heben des hinteren Teils der Skulptur, der als erstes installiert werden sollte, das Seil gerissen als das Teilstück eine Höhe von etwa 15 Meter über den Boden erreichte. So fiel dieses Teilstück herunter und prallte auf den Boden. Menschen wurden dabei nicht verletzt.“

Schimpf erklärt, dass das Seil, das 1938 gekauft wurde, für derartige Transporte von Schwerlasten angefertigt sei, dass es vor dem Einsatz von seinen Mitarbeitern genauestens überprüft worden sei und dass man unmöglich diesen Riss hätte vorhersehen können. Zu diesem Zeitpunkt kommt er zum Schluss, dass es sich um ein „Materialdefekt“ handeln muss und achtet darauf, die beiden Seilstücke in seinem Büro aufzubewahren, „für etwaige weitere Kontrolle, sollte diese für notwendig erachtet werden“. An nächsten Tag berichten die Dernières Nouvelles d’Alsace in den Kurznachrichten belustigt über den Sturz des Pferdes von Ludwig XIV. auf den Münsterplatz: „Gestern Morgen sollte es zurück an seinen Platz am Portal des Münstern, doch – vermutlich vom Schwindel erfasst – bevorzugte es nun, bei seinem Kopf und seinen Vorderbeinen zu bleiben, die noch auf dem Boden weilten.“ Allerdings saß der Schreck noch tief und die Mitarbeiter der Frauenwerkstiftung, die nun verdutzt die Trümmer ihrer Arbeit betrachteten, hatten wahrlich wenig zu lachen (Abb. 4).

class=wp-image-2077
Abb. 4. Die Mitarbeiter der Frauenwerkstiftung betrachten den hinteren Teil der Statue, der nach dem Sturz zerbrochen auf dem Boden liegt, 14. Mai 1946.
class=wp-image-2078
Abb. 5 Ein Mitarbeiter der Frauenwerkstiftung auf dem Baugerüst, 14. Mai 1946.

In den Tagen nach dem Vorfall leitet Schimpf eine regelrechte polizeiliche Ermittlung, um herauszufinden, was den Riss des Seils verursacht hat. Er beginnt damit, seine Mitarbeiter zu befragen. Es stellt sich heraus, dass alle die größte Vorsicht haben walten lassen, ein Versehen, oder gar ein beruflicher Fehler der Mitarbeiter ist also ausgeschlossen. Allerdings behauptet ein Mitarbeiter, der auf dem Gerüst stand (Abb. 5), „kurz vor dem Riss des Seils das charakteristische Pfeifen einer Kugel vernommen zu haben“. Eine Bürokraft, die nah am Fenster saß, meldete indessen „einen Knall“ und direkt danach den dumpfen Aufprall der Skulptur auf dem Steinboden gehört zu haben. Die Aussagen stimmen überein, doch Schimpf mag es nicht glauben: „Die Annahme, dass jemand auf dieses Seil geschossen haben könnte, schien ihm so abwegig, dass er sie vorerst ablehnte.“ Wer, in Straßburg, könnte das Münster oder die Frauenwerkstiftung angreifen wollen? Doch kommen die Untersuchungen beim Seilhersteller zum gleichen Ergebnis. Schimpf muss also „zum Schluss kommen, dass wir Opfer eines Sabotageaktes sind und dass ein Schütze mit einem Gewehr, höchstwahrscheinlich mit Zielfernrohr ausgestattet, den Vorfall vom letzten Dienstag verschuldet hat.“ Die Straßburger Polizei wird eingeschaltet, doch ergeben die eine Woche nach dem Vorfall eingeleiteten Ermittlungen keine weiteren Ergebnisse. Wie dem auch sei, die Bildhauer der Stiftung setzen sich umgehend wieder an die Arbeit und fertigen den hinteren Teil des Pferdes neu an. Das Denkmal wird am 17. und 18. September an seinen Platz gehoben, unter dem wachsamen Auge der von der Stadt herbeigerufenen Polizei, um jeglichen Versuch einer weiteren Sabotage zu vereiteln. Seitdem reitet Ludwig XIV. stolz unter seinem Baldachin der ersten Ebene der Westfassade am Straßburger Münster.

Die Frage nach dem Verursacher des „Sabotageaktes“, der schwerwiegende Konsequenzen hätte haben können, bleibt allerdings offen. Am 21. Mai verkündet L’Humanité, dass es „ein Scharfschütze erster Klasse“ gewesen sein muss, um beim ersten Schuss aus einem der Gebäude vom Münsterplatz ein 22 mm dickes Seil treffen zu können. Was das Mobil angeht, schlägt die Zeitung zwei Möglichkeiten vor: Entweder handelt es sich um eine Handlung ohne wirklichen Beweggrund, um einen „schlechten „Scherz“ einer absonderlichen Person“, oder aber es handelt sich um eine Handlung mit politischem Hintergrund „einer Person deren Herz noch für unsere Nachbarn jenseits des Rheins höherschlägt und für die die Wiederherstellung der Statue eines französischen Königs ein Dorn im Auge ist“. Anhaltspunkte, die für die eine oder die andere Möglichkeit sprechen würden, gäbe es nicht, so dass selbst der Journalist befürchten muss, „diese Fragen könnten wohl niemals eine Antwort finden“. Die Ermittlungen dauern an…

Nicolas Lefort
Übersetzung: Stéphanie Wintzerith

Quellen und Abbildungen: Archives de la Ville et de l’Eurométropole de Strasbourg, fonds de l’Œuvre Notre-Dame, 4 OND 89.

Nach oben scrollen