F. Klakocer, Die Darstellung von Juden am Strassburger Münster

Am 20. September hielt Francis Klakocer, Präsident des Münstervereins, im vollbesetzten Münsterhof den ersten Vortrag der Saison. Es ging um die Darstellung von Juden im und am Münster, sei es in den mittelalterlichen Glasfenstern oder in den Gobelins aus dem 17. Jahrhundert, auf Schlusssteinen oder in den Zwickelfeldern der Wandarkaden in den Seitenschiffen. Aus Zeitgründen beschränkte sich Francis Klakocer auf die Darstellung von Zeitgenossen Jesu. Es ging also nicht um die sehr zahlreichen Propheten und Patriarchen des Alten Testaments in den Gewänden und Archivolten der Portale z.B. Die konstanten Merkmale sowie die Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte sollten herausgearbeitet, Stereotypen beleuchtet und auch höchst problematische, sogenannte Spott- oder Schandbilder betrachtet und analysiert werden.

In einem ersten Vergleich ging es um zwei Darstellungen von Jesus bei den Schriftgelehrten im Tempel, in einer Glasmalerei von ca. 1320 einerseits, und in den ‚Tapisserie de la Vierge‘ (1642-1657) andererseits. Das mittelalterliche Glasgemälde zeigt zwei gelehrte Juden mit sogenannten Judenhüten in Trichterform (pileus cornutus), wie sie schon auf der Darstellung von „zwei Juden“ z.B. im Hortus Deliciarum (2. Hälfte 12. Jh.) zu sehen sind. In der Gobelindarstellung fehlen solche Attribute.

Der historische Kontext hat sich verändert: Seit dem vierten Laterankonzil (1215) müssen, auf päpstlichen Beschluss, alle Nicht-Christen beiden Geschlechts sich durch ein vestimentäres Zeichen (dessen Aussehen nicht festgelegt wird) als solche zu erkennen geben. Damit sollten Mischehen verhindert werden. Doch schon seit dem 11. Jahrhundert entstand bei den Juden selbst die Gepflogenheit, sich durch das Tragen eines langen Bartes und der Schläfenlocken zu unterscheiden. Dann erschien im Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation seit dem frühen 13. Jahrhundert der sog. Judenhut der Männer als eines dieser Erkennungszeichen.

In bildlichen Darstellungen des Mittelalters im Straßburger Münster tragen alle weiblichen jüdischen Gestalten einen Kopfschleier, der das Haar bedeckt. Viele männliche Figuren tragen den Hut auf dem Kopf, einige tragen ihn an Bändern auf dem Rücken, andere tragen ihn gar nicht. Priestergestalten ohne Hut sind durch einen langen liturgischen Schal gekennzeichnet. Auffällig ist, dass die Familienmitglieder von Jesus ohne den Hut dargestellt werden, so als sollte ihr Judentum negiert werden (Großvater Joachim, Ziehvater Josef). Auch Personen, die als öffentlich mit Jesus sympathisierend charakterisiert werden, unterscheiden sich durch das Nichtvorhandensein dieses Erkennungszeichens – so in dem Glasgemälde, das den von Jesus in Jerusalem zeigt: eine abweisend erscheinende Figur am Stadttor ist mit Hut dargestellt, während die Begleiter und Sympathisanten von Jesus ihn nicht tragen. Doch diese Interpretation gilt z.B. nicht für eine Grablegungsszene, einem anderen Glasgemälde, wo die beiden männlichen Figuren mit Hut dargestellt sind – möglicherweise um sie als Würdenträger innerhalb ihrer Gemeinschaft zu kennzeichnen. Auf keinen Fall ist der Hut hier ein negatives Attribut.

Die mit Juden assoziierte gelbe Farbe (im HRR wurden sie z.T. zum Tragen eines gelben Kreises auf der Kleidung gezwungen) kann in bestimmten Szenen eine Gestalt hervorheben, die als negativ erscheinen soll, z.B. Judas der Verräter oder die Schergen in der Geißelung Christi (wo es sich der Bibel nach um römische Soldaten handelt). Doch sind in anderen Szenen, besonders in der Glasmalerei, sicher auch rein künstlerische Kriterien (das Farbgleichgewicht im Bild, die ‚Lesbarkeit‘ der Szenen in der Biblia pauperum) für die Farbwahl ausschlaggebend gewesen. Gelb ist nicht systematisch den negative Judenfiguren zugeordnet, und nicht alle gelb gekleideten Figuren stellen Juden dar. Es gibt gelb gekleidete Apostelfiguren, und Jesus selbst trägt ein gelbes Gewand in einer Darstellung der Darbringung im Tempel.

Eine weitere Art der Kennzeichnung von Juden ist die ‚Orientalisierung‘ der Gestalten, also die Darstellung in orientalischer Kleidung, die ihre Andersartigkeit hervorheben soll – in England und Frankreich besonders seit den Vertreibungen, die zur Folge hatten, dass die Künstler keine ‚echten‘ Juden mehr als Vorbild hatten. Dies scheint auch der Grund dafür zu sein, dass in der ‚tapisserie de la Vierge‘ die Schriftgelehrten nicht als Juden zu erkennen sind. Es sind ‚orientalische‘ Gestalten in weiten Gewändern, manche mit Turban.

Die Judasfigur der Ölberggruppe, dem spätmittelalterlichen Skulpturenensemble, das sich seit 1667 im nördlichen Querhaus befindet, sticht durch andere Merkmale hervor: Judas ist leicht identifizierbar durch eine besonders unharmonische Physiognomie mit Adlernase und den knittrigen Faltenwurf seines Gewands, in einer gezwungenen Haltung, mit einer Schlange zu seinen Füssen. Es handelt sich um eine deutliche Stigmatisierung des andersartigen ‚jüdischen‘ Verräters, in Abgrenzung zu den übrigen Aposteln.

Die ikonografischen Schemata der bisher genannten Darstellungen entsprechen traditionellen christlichen Themen, sie illustrieren Episoden der Bibel, in denen Juden eine Rolle spielen und deshalb erscheinen. Von den diesen Szenen unterscheiden sich einige Bildwerke in den Zwickel der Arkaden, an den Wänden der nördlichen und südlichen Seitenschiffe. In diesen Zwickelfeldern finden sich eine beeindruckende Vielfalt von Figuren und sehr heterogene Szenen, die kein durchlaufendes ikonografisches Programm bilden. Es handelt sich um eher kleinformatige, aber gut sichtbare Skulpturen, wenig über Augenhöhe gelegen. Darunter finden sich auch einige wenige Darstellungen von Juden, die an ihren Hüten zu erkennen sind. Es handelt sich an diesen Stellen ausschließlich um Schandbilder. Besonders ein Ensemble von drei Szenen ist auffällig, das sich im südlichen Seitenschiff befindet. Ein Teufel zieht einen Juden am Ohr nach unten, wohl Richtung Hölle, in der Mitte trägt ein Dämon einen Sack, in dem man diesen Juden vermuten kann, und rechts befindet sich die besonders problematische Darstellung einer sog. ‚Judensau‘ (s.u.). Eine zweite ‚Judensau‘ ist stark verwittert im nördlichen Seitenschiff erhalten. Außen am Münster, als Teil des hoch oben angebrachten Südfrieses, findet sich ebenfalls eine Schandszene, die allerdings nur sehr schwer erkennbar ist: Ein Teufel schleppt einen nackten Juden, den er kopfunter auf dem Rücken trägt, wohl in Richtung Hölle, er hat ein Gesicht auf dem Hintern, der zweite Teufel weitet in einer obszönen Geste mit einer Hand seinen After und zielt in Richtung des Gesichts des Juden.

Das ikonografische Schema, das unter dem Namen ‚Judensau‘ bekannt ist, erscheint im 13. Jahrhundert in Mitteleuropa – die beiden Straßburger Darstellungen werden auf ca. 1250-1290 datiert. Es handelt sich um Abscheu erregende, entwürdigende und ausgrenzende Bilder, von denen noch etwa 40 in Europa erhalten sind. Von der theologisch begründeten Abgrenzung zur jüdischen Religion, wie sie etwa in der Gegenüberstellung von Ecclesia und Synagoge erscheint, ist man weit entfernt. Auch wenn es bei weitem nicht die einzigen kruden oder obszönen Darstellungen sind, die man an mittelalterlichen kirchlichen Gebäuden findet, schmälert dies nicht die die Tatsache, dass hier Juden als solche in einem einzigen Bildschema mehrfach herabgewürdigt werden: sie sind der Verdammnis geweiht, werden entmenschlicht, da sie in intimer Beziehung zu Tieren stehen, sie werden der Todsünden Völlerei und Wollust bezichtigt, und sie sind in Handlungen begriffen, die ihren religiösen Prinzipien diametral entgegenstehen – sie verletzen die Regeln des Anstands, brechen ihre eigenen religiösen Tabus, und sündigen im christlichen Sinn, können also nicht respektiert werden. In Deutschland kam es in den letzten Jahren zu zahlreichen öffentlichen Auseinandersetzungen und zu Rechtsstreit um den Verbleib dieser Judensau-Darstellungen an kirchlichen Gebäuden (besonders in Wittenberg, auch wegen der antisemitischen Schriften Luthers, die sich explizit auf ein Judensau-Relief beziehen). Im Elsass findet man weitere Darstellungen dieser Art in Colmar (St. Martin).

Sabine Mohr

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