Alexandre Kostka, Christiane Weber, Johann Knauth und die Rettung des Straßburger Münsters im Hinblick auf den technischen und kulturellen Kontext

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Im zweiten Vortrag dieser Saison ging es um ein austro-französisches Forschungsprojekt (‚projet collaboratif international‘) welches durch die Fondation de l’Oeuvre Notre-Dame angeregt wurde und unter der Leitung der Innsbrucker Bauforscherin und Professorin für Architektur Christiane Weber und des Germanisten und Kunsthistorikers Alexandre Kostka, Professor an den Universitäten Straßburg und Karlsruhe, steht. Beide Verantwortliche stellten verschiedene Aspekte dieses Projekts vor. Wie der Titel besagt, geht es nicht in erster Linie um die Rehabilitierung des Münsterbaumeisters Johann Knauth als eines ‚einsamen Helden‘ oder eines Opfers der Zeitläufte und der staatlichen Willkür, sondern um eine kultur- und technikhistorische Einordnung seiner belegbaren Leistungen, speziell der langwierigen Eingriffe zur Stabilisierung des nördlichen Turmpfeilers.

Alexandre Kostka fixierte zunächst den forschungstheoretischen Rahmen, der auf das Konzept ‚Engeneering nationality‘ des britischen Historikers Eric Hobsbawm Bezug nimmt. Der Grundgedanke des Forschungsprojekts ist, dass sich im Straßburg der Reichslandzeit nach der deutschen Annexion in besonderer Weise bauliche Initiativen beobachten lassen, die zur Schaffung einer nationalen Einheit und Identität beitragen sollten, da sie eine für alle akzeptable emblematische Dimension hatten. Den neuen Machthabern war daran gelegen, ‚Elsass-Lothringen‘ ins Deutsche Reich zu integrieren, indem sie die Gemeinsamkeiten mit dem rheinischen Raum betonten, wodurch gleichzeitig der neugegründete deutsche Staat konsolidiert würde. Als Beispiel für Straßburg führte Kostka das Stadtbad an, eine Synthese aus dem Architekturgedanken des deutschen Barockschlosses Biebrich und der lokalen Besonderheit der mit Biberschwanzziegeln gedeckten steilen Dächer. Für die Neustadt insgesamt wählten die Stadtplaner das emblematische Münster als den zentralen Blick- und Bezugspunkt der neu angelegten Straßenzüge.

Johann Knauth erscheint in diesem Kontext als eine ‚integrative Persönlichkeit‘, von der Obrigkeit wie von der lokalen Bevölkerung gleichermaßen akzeptiert. Er arbeitete sich nach seiner noch zu erforschenden Kölner Lehrzeit dann in Straßburg vom Techniker, zum Bauführer und schließlich zum Architekten hoch, der als Münsterbaumeister einen festen Stab aus Handwerkern leitete und die Münsterbauhütte modernisierte. Mit seinem jovialen Charakter als Rheinländer, der eine Tochter aus Straßburger Familie ehelichte, integrierte er sich gut in der Stadt, und schien andererseits nicht erpicht auf näheren Umgang mit den hohen deutschen Beamten. Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs hatte Knauths Arbeit am Münster somit eine integrative Wirkung – im Gegensatz zu der Figur des Schlesiers Fritz Beblo, der abgeschieden lebte und offenbar nur mit ‚Altdeutschen‘ Umgang hatte. Doch es gab ein ganzes Geflecht von interferierenden Instanzen in der Stadt, die gemeinsam den Hintergrund für die Arbeit von Johann Knauth bildeten: die Stadtverwaltung, das Bauamt, die akademischen Experten (Dehio), innovative Bau-Unternehmen, sowie Kontakte zu anderen Dombauhütten im Reich und in Österreich, zur Denkmalschutzbehörde, aber auch zu Spezialisten in Frankreich, und nicht zu vergessen die öffentliche Meinung. Im Vergleich zu anderen Hauptfiguren nahm Knauth überwiegend eine moderate und vermittelnde Stellung ein, z.B. auch indem er ein deutsch-französisches Restaurierungsteam zusammenstellte, grenzübergreifend Gutachten heranzog. Eine sehr wichtige Quelle stellt das von Knauth zwischen 1907 und 1925 geführte, handgeschriebene ‚Baustellentagebuch‘ dar, das im Rahmen des Forschungsprojektes bereits transkribiert wurde, des Weiteren übersetzt und dann publiziert werden soll.

Die drei Forschungsschwerpunkte umfassen (1) die (im Archiv der Fondation de l’Oeuvre Notre-Dame außergewöhnlich gut und bis heute beispielhaft dokumentierte) Konsolidierung des nördlichen Turmpfeilers, (2) die Rolle Johann Knauths als Architekt (z.B. die 1907-1911 errichtete Kirche St. Materne in Avolsheim,) und (3) der wissenschaftliche und kulturelle Kontext des Wirkens Knauths und der großen Pfeilerbaustelle im Reichsland.

Christiane Weber stellte in dem zweiten Teil des Vortrags die schon vorhandenen Ergebnisse zum ersten Forschungsschwerpunkt vor. Wurden 1888 von einer internationalen Kommission noch keinerlei gravierende Bauschäden festgestellt, fielen Johann Knauth im Jahre 1903 eine Neigung sowie Risse im ersten nördlichen Langschiffpfeiler auf, die sich zuerst niemand erklären konnte. Nach ersten Maßnahmen 1906, eine Absicherung mittels Eisenbändern, adressierte er einen Bericht an die Stadtverwaltung, in dem er allerdings noch keine Reparaturvorschläge machte. Zuerst ließ er archäologische Untersuchungen durchführen, die Schäden an den Fundamentmauern feststellten: in der Tat ruhen das ‚Westwerk‘ und besonders der Nordturm mit seinen 7500 t Gewicht auf übereinanderliegenden romanischen und gotischen Fundamenten, die wiederum auf in die darunterliegende Lössschicht gerammten Holzpflöcken aufliegen. Das aus dem frühen 11. Jh. stammende Holz war weitgehend verfault, und zwischen dem romanischen und dem gotischen Mauerwerk lag abschnittsweise eine 20 cm hohe Erdschicht, ein unerklärliches Phänomen, das durch die große Last des Turmes zum unregelmäßigem Absacken der darüberliegenden Gebäudeteile führte. Dies führte zur Verlagerung und Ableitung der vom Turm wirkenden Kräfte auf den ersten Langschiffpfeiler. Der Ursprung des Problems lag allerdings unter dem Nordturmpfeiler. Knauth bemühte sich in der Folge um Gutachten, er reiste zu Gebäuden, an denen Konsolidierungsmaßnahmen durchgeführt worden waren (z.B nach Bayeux und Wolfenbüttel), suchte spezialisierte Firmen, von denen vier in die nähere Auswahl kamen und Vorschläge in Form von Bauzeichnungen und statischen Berechnungen vorlegten. Nach einem ausführlichen „Bericht über Bauschäden…“ an den Bürgermeister 1909 beschloss der Stadtrat dem Vorschlag des Münsterbaumeisters zu folgen, der die vollständige Beseitigung des alten und Herstellung eines neuen Fundamentes unter dem Turmpfeiler vorschlug. Damit erfolgte der Startschuss für die folgenden Baumaßnahmen.

Es wurde schnell klar, dass man auf den Baustoff Eisenbeton zurückgreifen würde, um damit um die mittelalterlichen Fundamente herum zunächst einen neuen Fundamentring anzulegen. Der nördliche Turmpfeiler wurde in ein Betonkorsett verpackt, in den im unteren Bereich Vorrichtungen für die Aufnahmen von acht hydraulischen Pressen eingelassen waren. Diese dienten später der gleichmäßigen Druckübernahme der Pfeilerlast auf die gesamte Bodenfläche. Zunächst musste der Bereich um die Fundamente jedoch durch einen Kreis von 12 m hohen eisenarmierten Betonpfeilern gesichert werden. Diese beiden innovativen Elemente erlaubten es, in einem weiteren Schritt, die defekten Fundamentkerne unter dem Turmpfeiler abzutragen und durch einen Betonsockel zu ersetzen. Vorher waren noch zur Erhöhung der Sicherheit zusätzlich 650 horizontale Stahlstäbe zur Verbindung zwischen ‚Korsett‘ und Pfeiler eingelassen worden. Johann Knauth leitete die Arbeiten bis zu seiner unfreiwilligen Entlassung aus dem Amt im Jahr 1920 (er verstarb 1924). Auch während des ersten Weltkriegs gingen die Arbeiten trotz Material- und Arbeitskräfteknappheit weiter. Als Knauth von dem französischen Architekten Clément Dauchy abgelöst wurde, war das ‚Korsett‘ fertiggestellt. Dauchy leitete dann die heikelsten Arbeiten, nämlich das Entfernen der alten Grundmauern. Das ‚Korsett‘ wurde 1925 demontiert, die Stahlstäbe abgesägt, der Pfeiler selbst blieb erhalten. Der erste Langschiffpfeiler der Nordseite wurde dagegen 1926 komplett neu errichtet. Der Abschluss der Arbeiten wurde 9.-10. Oktober 1926 gefeiert, dabei blieb der Name Knauths unerwähnt. Die gesamten Restaurierungsarbeiten sind das Ergebnis einer multinationalen Zusammenarbeit, eine einseitige nationale Zuschreibung des Verdienstes zur Rettung des Münsters ist unangebracht. Deutsche, französische und Schweizer Experten, Arbeiter und Architekten trugen dazu bei, das Straßburger Münster unter weitreichender länderübergreifender Anteilnahme zu retten.

Sabine Mohr
Ill.: F.OND

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