Eine besondere Besichtigung im Straßburger Münster: der Windfang und das Pfeilerproblem

Am 10. Oktober 2023 fand unter der Führung von Sabine Bengel – Kunsthistorikerin der Straßburger Münsterbauhütte – eine zweiteilige Besichtigung in deutscher Sprache statt. Sie war den Mitgliedern des Strasburger Münstervereins reserviert.

Nachdem Baumeister Gustav Klotz gestorben war, gab es mehrere Nachfolger: Petiti, Hartel, Schmitz und Arntz. Letzterer hatte sich persönlich für die Gründung eines Straßburger Münstervereins eingesetzt, welche 1902 erfolgte.

Johann Knauth (Köln 1864-Gengenbach 1924,) war zunächst Bauzeichner, schaffte es allmählich in den Rang eines Architekten und Baumeisters. Während unter seinem Vorgänger Ludwig Arntz Stromleitungen ins Münster verlegt wurden, baute Knauth zunächst eine Heizanlage in das Münster. Auch führte er die Restaurierungsarbeiten an der Westfassade weiter.

Der Windfang

Im Jahr 1904 wurde aus Sicherheitsgründen mit dem Bau eines Windfangs am nördlichen Seitenschiff begonnen, der noch im selben Jahr, im Oktober, vollendet wurde. Ein Windfang (oder Windfangtüren) soll das Innere des Bauwerks vor Wind schützen. Dieser Windfang ist an der Westwand der Sankt Laurentius Kapelle angebaut und trägt heute den Namen “Vestibule Knauth”.  Zuvor gab es ein Provisorium aus Holz.

Der in den Formen der Spätgotik errichtete und mit schönen Schlusssteinen ausgestattete Anbau ist heutzutage leider nicht mehr zugänglich. Neben den Türen entdeckt man zwei Skulpturen. Links, eine alte Frau: sie ähnelt auffallend der Mutter Johann Knauths, von der sich ein Foto in der Münsterbauhütte erhalten hat. Auf der anderen Seite erkennt man einen kauernden Mann mit Schnurrbart, der zwei Schlüssel in der Hand hält. Wer könnte es sein? Sein Vater? Ein Sakristan? Oder Knauth selbst? Das Dach ist mit Steinplatten bedeckt. Bemerkenswert ist der Fußbodenbelag aus gebrannten Tonfliesen mit mittelalterlichen Motiven. In der Mitte des Raumes steht ein Weihwasserbecken aus belgischem Granit, an den angrenzenden mittelalterlichen Wandflächen sind alte Grabinschriften erhalten.

Die Eingangstüren sind außen mit Kupferplatten beschlagen, die Tierkreiszeichen, Symbole der Evangelisten, Sonne, Mond, Sterne sowie Tiere und Pflanzen darstellen. Die aufwendig gearbeiteten Beschläge sind vergoldet und mit verschiedenen Symbolen versehen, darunter auch das Zeichen der Straßburger Bauhütte, das sogenannte Männele. Die Kosten für diesen Bau beliefen sich auf 45 000 Mark.

Das Pfeilerproblem

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1902/03) beobachtete man Risse am ersten Langhauspfeiler der Nordseite. Man begann neue Steine einzusetzen, aber die Risse vergrößerten sich trotzdem. Knauth suchte nach der Ursache dieses Problems.  Diese wurde in der Überbelastung des danebenstehenden Turmfreipfeilers gefunden und in dessen mangelhaft ausgeführtem Fundament im Mittelalter. Man begann zunächst mit aufwendigen Abstützungen der die Pfeiler umgebenden Arkaden und mit der Sicherung des Langhauspfeilers mit Eisenbändern. Nach langen Untersuchungen und Expertenkonsultationen erstellte Knauth drei Vorschläge zur Behebung der Probleme. Man entschied sich für den kompletten Austausch des Fundaments des Turmfreipfeilers, der die Last von 8000 Tonnen trägt. Die Vermutung, dass die unter den Fundamenten liegenden Holzpfeiler durch die Rheinregulierung im 19. Jahrhundert durch Absenkung des Grundwasserspeiegels vermodert seien, konnte nicht bestätigt werden.

Zur Ausführung der Arbeiten wurden zahlreiche Experten herangezogen und schließlich auf Eisenbeton spezialisierte Firmen kontaktiert.  Letztlich wählte man zwei Straßburger Firmen aus: Ed. & Th. Wagner und Ed. Züblin & Comp. Letztere war 1898 in Straßburg gegründet worden und arbeitete u.a.  an der Erbauung der Neustadt. Das Hauptschiff wurde zur Baustelle hin durch eine riesige Palisadenwand von 1912 bis 1926 abgesperrt. Zunächst musste die Baugrube durch das Einlassen von 110 12-Meter-langen Betonpfeilern abgesichert werden. Anschließend wurde ein großes Ringfundament um die mittelalterlichen Fundamente errichtet. Darüber wurde der Turmpfeiler in ein Betonkorsett eingehaust. Nach der Lastübertragung auf das Ringfundament wurde mit der Abtragung der mittelalterlichen Fundamente begonnen. Diese wurden in verschiedenen Schritten durch einen Betonsockel ersetzt.  Die Arbeiten wurden durch den ersten Weltkrieg unterbrochen. Nach Kriegsende übernahmen die französischen Behörden die Oberaufsicht. Knauth wurde 1920 ausgewiesen, da er sich weigerte die französische Nationalität anzunehmen. Es waren zuerst Clément Dauchy und nach ihm Pierre Charles, die Knauths Arbeiten fortsetzten. Als letztes wurde der gerissene Langhauspfeiler vollständig ersetzt. Dabei konnten wertvolle Einblicke in die mittelalterliche Bautechnik gewonnen werden: die Pfeiler wurden im dreizehnten Jahrhundert mit nur vier Steinen pro Schicht gebaut!

Als Andenken an die enormen Bauarbeiten kann man heutzutage den “Starken Mann” sehen, eine kleine Konsolfigur an der Basis des Langhauspfeilers. Er wird oftmals fälschlicherweise als Johan Knauth identifiziert, andere sehen in ihm eine Reminiszenz an Charles Pierre… Zum Gedenken an Johann Knauth hat die Stadt Straßburg 2014 eine Gedenktafel an der alten Post am Münsterplatz anbringen lassen. Und obwohl diese nur schwer lesbar ist, erkennt man die glatt polierte Profilansicht Johan Knauths, in dem sich die Westfassade spiegelt.

Bernard Denner und Sabine Bengel

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