Die Sankt Johannes-Kapelle im Münster

Am 16. Januar 2024 nahmen 15 Mitglieder des Münstervereins an einer Führung in der Johannes-Kapelle des Münsters teil. Sie wurde von Domherrn Bernard Xibaut, zugleich Kanzler des Erzbistums und Mitglied unseres Vereins, geleitet. Seine Leidenschaft für das Thema zog die Anwesenden so mit, dass die vorgesehene Zeit weit überschritten wurde. Weder der historische noch der architektonische oder der religiöse Aspekt wurde vernachlässigt, die Erklärungen waren immer wieder lebhaft mit willkommenen Anekdoten gespickt, die aussagekräftig die mittelalterlichen Sitten ans Licht brachten.

Élise Gérold, La chapelle Saint-Jean-Baptiste

Die Johannes-Kapelle des Münsters bildet das Erdgeschoß eines gotischen Gebäudes, das sich im Winkel zwischen Chormauer und nördlichem Querschiff erhebt, beide im romanischen Stil gebaut. Obwohl noch Reste einer ersten romanischen Konstruktion vorhanden sind (insbesondere die im Mauerwerk des Chors eingelassenen und denen der Sankt Andreas-Kapelle gleichenden Pfeiler), gehört die Sankt Johannes-Kapelle zu den ersten gotischen Gebäuden in Straßburg.

Der Raum hat im Laufe der Zeit verschiedene Zwecke erfüllt. Diese Kapelle, in der heute das Kapitel täglich Messe liest, sollte ursprünglich wahrscheinlich als Grabstätte der Bischöfe dienen und auch als den Domherren vorbehaltenen Durchgang zwischen Bruderhof und Chor. Nachdem unter Ludwig XIV. der katholische Glaube wieder Einzug in das Münster erhielt, wurde sie zur Sakristei der Stiftsherren.   Deshalb hatte man Wandschränke eingebaut. Das Ergebnis ist nun aber, dass einige Grabmale (insbesondere das von Conrad von Busnang) verschandelt und auch einige Grabinschriften so verborgen sind, dass Grandidier sie im 18. Jahrhundert schon nicht mehr ausfindig machen konnte.

Das bedeutendste Denkmal ist zweifelsohne die Grabnische mit dem Leichnam des Bischoffs Conrad von Lichtenberg, der 1299… im Kampf in Freiburg-im-Breisgau gestorben ist, nachdem er 1275 das Privileg hatte, die Bauarbeiten des Hauptschiffs zu eröffnen, sowie die des Bauwerks der Hauptfassade. Die Eleganz und Zierlichkeit der kleinen Säulen, der Arkaden und der Giebel kontrastiert mit den groben Gesichtszügen des Verstorbenen. Dieser liegt da in seiner prächtigen Amtsbekleidung mit reich verzierter Mitra, einer Truhe, welche die zeitliche Dimension des Bistums darstellt, und dem Bischofsstab, welcher an die geistliche Macht erinnert, (wobei der obere Teil leider fehlt). Der recht runde Kopf des Prälats ruht auf zwei Kissen mit eichelförmigen Posamenten und zeigt Spuren von Polychromie, während die Füße an einen die Kraft symbolisierenden Löwen rühren. Eine lateinische, wahrscheinlich von seinem Bruder erstellte Inschrift verleiht ihm auf jedem Fall die besten der je vertretenen Tugenden.

Das, was von Conrad von Busnangs Grabmal noch zu sehen ist, ist ein Kunstwerk der Skulptur. Der Betroffene hatte es noch zu Lebzeiten (1544) beim berühmten Nicolas von Leyden in Auftrag gegeben. Man sieht das Christkind, das sich mit einer Hand am Schleier der Jungfrau Maria festhält und sich wagt, die Hände des Betenden zu berühren. So verbindet er göttliche und menschliche Welt.

Dank vier weiteren lateinischen Inschriften, die jeweils Friedrich von Zollern, Hans von Werdenberg, Berthold von Henneberg und Friedrich von Hohenstein gewidmet sind, können wir etwas über die Sitten der Domherren im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts erfahren: sie traten sehr jung in den geistlichen Stand, ohne jedoch ein endgültiges Gelöbnis abzulegen, und waren besonders darauf bedacht, Kirchenämter zu kumulieren, die Einnahmen generierten (Bischof, Domherr, Mitglied eines Kapitels, Erzdiakon…). So Friedrich, Neffe des Bischoffs Wilhelm: er war noch ein Kind, als letzterer starb, und war doch schon drei Jahre zuvor zum Domprobst (also zum wichtigsten Würdenträger) der Stiftskirche von Saverne erhoben worden. Ein vielsagendes Beispiel für die Verirrungen des mittelalterlichen Klerus (Nepotismus, Gewinnstreben), die ein Jahrhundert später zur Reformation führen werden.

Domherr Xibaut hat sich die Mühe gegeben, die lateinischen Texte vorzulesen, sie zu übersetzen, ja gar sie zu entziffern. Vor allem hat er sie mit feinsinnigen und willkommenen Bemerkungen kommentiert. Neunzig Minuten für eine Besichtigung, in der klassischer Vortrag und interessierter Gedankenaustausch rege miteinander wechselten und in der vor allem Auge und Geist wunderbar auf ihre Kosten gekommen sind. Dafür bedanken wir uns ganz herzlich!

Bernard Xibaut und Francis Klakocer
Übersetzung: Barbara Bullwinkel
Ill.: M. Bertola, Musées de Strasbourg, Cabinet des estampes / DR

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