Während unserer Studienreise Anfang September 2025 haben wir unter anderem das Münster von Villingen besucht. Unter den vielen sehenswerten Elementen dieser Kirche ist mir ein Glasfenster besonders aufgefallen, und das aus gleich mehreren Gründen.

Im linken Querschiff befindet sich eine wenig beleuchtete Kapelle, in der man dennoch kurz Halt machen sollte. Das spärliche Licht strömt durch ein enges, aber lehrreiches Glasfenster hinein. Das Werk stammt von Elmar Hillebrand, das Datum 1982 ist auf dem Sockel vermerkt. Das Glasfenster erinnert an das große Engagement der Stadtbewohner für ihre Stadtkirche, für die sie mehrmals tief in die Tasche greifen mussten, um sie instand zu halten bzw. zu restaurieren.
Auf dem Glasfenster sind die Werkzeuge der Passion Christi abgebildet, die gemeinhin auch arma Christi, also „die Waffen Christi“ genannt werden. Sofort erkennt man den Schwamm, der an einer langen gelben Stange befestigt ist, stellvertretend für den Ysop Zweig, den Johannes erwähnt, oder das Schilfrohr aus dem Markusevangelium. Mit diesem Schwamm hat Christus den Essig getrunken – was keine sadistische Forderung eines Legionärs war, sondern ein Brauchtum der römischen Soldaten, da mit dem Essig eigentlich die posca gemeint war, also ein gängiges Getränk der römischen Legionen bestehend aus Wasser mit beigemischtem Essig.
Diese Stange bildet ein Kreuz mit der roten Lanze, die ein Soldat nutzte, um in Christi Seite zu stechen, „und sofort flossen Blut und Wasser“ aus der Wunde. In keines der kanonischen Texte wird der Soldat namentlich erwähnt, doch das apokryphe Nikodemus Evangelium aus dem 6. Jahrhundert nennt ihn Longin. Traditionell wird überliefert, dass er in die rechte Seite Christi eingestochen haben soll, was allerdings in den Evangelien nicht belegt wird. Wussten Sie schon, dass es heutzutage mindestens drei Lanzen gibt, die für die echte Lanze der Passion Christi gehalten werden? Dies lehnt an den Reliquienkult an und wirft sofort die Frage auf, welche davon nun die eigentlich „wahre Lanze“ sei? Auf dem Glasfenster ist zwischen Lanze und Stange der Schleier Veronikas gut zu erkennen, der Frau, die dem Christus das Gesicht damit abgetupft hatte, wobei sich seine Gesichtszüge in den Stoff eigeprägt haben sollen. Auch dieses Ereignis wurde nicht in den Evangelien erwähnt, ist aber im besagten Nikodemus Evangelium zu lesen.
In der Mitte des Bildes steht eine senkrechte kannelierte Säule, die es in sich hat. Ihr Sockel ist mit mehreren Szenen geziert, darunter eine Abbildung von Pilatus, der sich die Hände wäscht. Allerdings erwähnt kein Evangelium eine Säule, an der Christus gefesselt und gegeißelt worden wäre. Dennoch zählt sie seit dem 10. Jahrhundert zu den arma Christi, wie es ein sehr schönes Elfenbeinrelief zeigt, das Otto der Große dem Magdeburger Dom schenkte, und das heute im Bayrischen Nationalmuseum ausgestellt ist. Demnach ist die Säule zwar ebenfalls Bestandteil einer Tradition, doch ist sie auf dem Glasfenster vor allem deshalb abgebildet, weil sie eine „tragende Funktion“ hat: einerseits ist die Dornenkrone an ihr befestigt, andererseits prahlt ein stolzer Hahn auf ihrem Kapitell. Der Hahn, in schönem rotem Farbton, erinnert an die dreifache Verleugnung, die Christus Petrus vorhergesagt hatte: „Bevor der Hahn drei Mal kräht, wirst Du mich verleugnen.“ (Matthäus XXVI, 69-75) Ebenso apokryph ist die Legende wonach das Kreuz gezimmert und gegen diese Säule angelehnt worden wäre, wie es auf dem Glasfenster zu sehen ist. Bei der Gelegenheit sei noch daran erinnert, dass Kreuzigungen nur für gemeinrechtliche Strafverfahren galten, nicht aber für römische Bürger, die zu einer solchen Strafe nicht verurteilt wurden – siehe der heilige Paulus, der geköpft, und nicht gekreuzigt wurde.
In diesem Glasfenster ist noch mehr zu sehen. Am unteren Rand des Bildes sind weitere Werkzeuge der Passion gut zu erkennen: ein Hammer, um die vier Nägel einzuschlagen (eine Überlieferung aus dem Frühmittelalter, da drei Nägel und übereinander gelegte Füße erst später vorkommen), eine Variante des flagrum, einer kleinen römischen Geißel, die für Strafen genutzt wurde und oft als stachelige Kugel gezeigt wird, sowie eine Beißzange. Da das Glasfenster recht schmal ist, fehlte offensichtlich der Platz für die übrigen Instrumente der Passion Christi, wie etwa die Spielwürfel, die Tunika, die Leiter usw. Das Glasfenster als solches gehört also einem Genre an, das zwischen kanonischen Texten und apokryphen Berichten hin und her schwankt. Noch besser: es ist aus dem Grund ausgerechnet in dieser Kapelle angebracht, weil an der Hinterwand ein Kreuz hängt, das im 17. Jahrhundert auf einem Feld gefunden worden sei. Für die Bewohner Villingens ist dieses Kreuz eine Leitfigur, die sie, davon sind sie fest überzeugt, von den meisten üblichen Plagen geschützt hat: Pest, Kriege, Belagerungen und Plünderungen. Man bemerke: in Hildesheim werden dem tausendjährigen Rosenstock, der an der Apsismauer des Münsters wächst, ähnliche schützende Kräfte beigemessen.
Francis Klakocer
Übersetzung: Stéphanie Wintzerith
Abb.: Roland Moeglin