Dass Strassburg bereits in der frühchristlichen Epoche ein Bischofssitz war, wissen wir durch die Teilnahme von Strassburger Bischöfen an den Konzilen von Köln (346) und Sardica (347). Die ältesten erhaltenen Teile des Münster stammen von dem Bau, dessen Grundstein im Jahre 1015 durch Bischof Werner von Habsburg gelegt wurde. Es handelt sich dabei um die Krypta und um die Fundamente, die noch heute das Münster tragen. Der heutige romanische Chor wurde nach dem Münsterbrand im Jahre 1179 bis etwa 1200 neu erbaut. Daran anschliessend errichtete man zunächst das nördliche und danach, wohl bis in die 1230er Jahre hinein, das südliche Querhaus.

Das südliche Querhausportal vor den Zerstörungen der Revolutionszeit. Stich von Isaac Brun, 1617. Strasbourg, Cabinet des Estampes et des Dessins. Photo : Musées de la Ville de Strasbourg.

Das südliche Querhausportal vor den Zerstörungen der Revolutionszeit. Stich von Isaac Brun, 1617. Strasbourg, Cabinet des Estampes et des Dessins. Photo : Musées de la Ville de Strasbourg.

Das Südquerhaus ist kunstgeschichtlich besonders bedeutend, da es mit seiner Architektur, den Standbildern von Ecclesia und Synagoge sowie den grossartigen Skulpturen des Engelspfeilers den Übergang von der Romanik zur Gotik markiert. Seine genaue Datierung und die Erhellung der kunstgeschichtlichen Beziehungen sind daher ein wichtiges Forschungsthema, zu dem sich Schlüsselbeiträge im Bulletin des Münstervereins finden. Auch die neue, vom Münsterverein herausgegebene Monographie der Ostpartien des Münsters beschäftigt sich mit diesem Thema.
Das Langhaus mit seinen herrlich leuchtenden Glasfenstern ist, gemeinsam mit dem Kölner Dom, das bedeutendste und vollkommenste Zeugnis der entwickelten Gotik entlang des Rheins. Mit seinem Bau wurde nach der Fertigstellung des Querhauses begonnen. Bis zum Jahre 1275 haben die Steinmetze des Frauenwerks es in zwei Etappen von Ost nach West errichtet.

Nordseite des Münsters. Stich von Wenzel Hollar. Strasbourg, Cabinet des Estampes et des Dessins. Photo : Mathieu Bertola/Musées de la Ville de Strasbourg.

Nordseite des Münsters. Stich von Wenzel Hollar. Photo : Mathieu Bertola/Musées de la Ville de Strasbourg.

Im Jahre 1277 nahm man den Bau der spektakulären Westfassade in Angriff. Sie ist eines der berühmtesten Bauwerke der Welt und erreicht mit ihrem eleganten Turm eine Höhe von 142 Metern. Damit ist sie der Inbegriff der mit aller Macht in die Höhe strebenden gotischen Architektur. Schon Goethe, der in den 1770er Jahren seine Studienzeit in Strassburg verbrachte, begeisterte sich für dieses Wunder der Baukunst und seinen mutmasslichen Erfinder, Erwin von Steinbach. Goethes Schriften setzten Meister Erwin ein literarisches Denkmal, aber über die historische Figur wissen wir viel weniger. In Wirklichkeit ist die Münsterfassade nicht die Schöpfung eines einzelnen Mannes, sondern eine ganze Reihe begabter Architekten und Bildhauer haben über zwei Jahrhunderte hinweg an diesem Bauwerk gearbeitet. Dabei kam es zu mehreren Planwechseln. So sah der Plan aus der Zeit Meister Erwins, der uns im Original (Sammlung des Musée de l’Œuvre Notre-Dame) erhalten ist, eine wesentlich niedrigere Fassade mit zwei Türmen nach dem Vorbild der Kathedralen von Reims und Paris vor. Später wurde die Fassade durch das Einfügen eines Zwischengeschosses zu dem massiven Block umgestaltet, der heute vor uns steht. Der filigrane Turm, eine Idee des berühmten, ebenfalls in Ulm und in Bern tätigen Architekten Ulrich von Ensingen, ist schliesslich das Ergebnis eines weiteren Planwechsels. Vollendet wurde der Turm erst nach Ulrichs Tod durch den raffinierten, aus lauter kleinen Treppenspindeln bestehenden Helm, der wiederum eine Abweichung vom Originalplan bedeutete.
Die spannende Geschichte dieses einzigartigen Bauprojekts des Mittelalters wurde von vielen namhaften Forschern in mühevoller Detektivarbeit erarbeitet. Publiziert haben sie ihre Ergebnisse grösstenteils im Bulletin de la cathédrale de Strasbourg. Auch heute ist dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen. Immer wieder gibt es neue Befunde und Erkenntnisse der Forschung, für die der Münsterverein mit seiner Vortragsreihe und seinen Publikationen ein wissenschaftliches Forum bietet.

Wenn Sie mehr über die Baugeschichte des Münsters erfahren wollen, besuchen Sie die Webseite unseres Partners, des Frauenwerks (Œuvre Notre-Dame)!